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Toleranz in der Praxis: Zwei Beispiele

Aktualisiert: 17. Sept. 2023

"Bei einem Streit ist auf beiden Seiten der Wunsch gleich gross ernst genommen zu werden."

M.B. Rosenberg


"Toleranz" hat seine Wurzeln im Lateinischen, genauer gesagt im Wort "tolerare", was so viel bedeutet wie "aushalten" oder "tolus" = "Last". Diese Definition verweist auf die Bereitschaft, andere Menschen, Meinungen oder Verhaltensweisen zu akzeptieren, selbst wenn sie von meinen eigenen abweichen. Toleranz lässt sich mit der Gewaltfreien Kommunikation einerseits durch die Haltung und andererseits durch die Wortwahl ausdrücken.


Die GFK-Haltung fördert eine Atmosphäre des Respekts und der Offenheit, in der Toleranz nicht nur als "Aushalten" unterschiedlicher Meinungen verstanden wird, sondern als echtes Verständnis und Akzeptanz der Vielfalt in der Familie.



Im Alltag Toleranz üben - zwei Beispiele


1) Nehmen wir an: In einer In einer Familie gibt es oft unterschiedliche Meinungen und Konflikte, die zu Spannungen führen. In diesem Fall geht es um die Frage, ob die Sommerferien am Strand oder in den Bergen verbracht werden sollen. Die Diskussion eskaliert schnell, mit jedem Familienmitglied, das auf seine Meinung beharrt. Es wird laut und emotional, und es werden Vorwürfe gemacht. Die Familie kann in einem Streit auseinandergehen, ohne eine Lösung zu finden.

Toleranz in der Haltung:

  • Jedes Familienmitglied ist bereit, zuzuhören und sich in die Perspektiven der anderen zu versetzen (was nicht mit "verstehen" gleichzusetzen ist).

  • Die Familienmitglieder erkennen an, dass sie unterschiedliche Bedürfnisse (welche nicht mit Wünschen oder konkreten Handlungen gleichzusetzen sind) haben, die sie gleichermassen respektieren. Es werden also erst einmal alle Bedürfnisse der Beteiligten gesammelt.

  • Die Diskussion wird zu einem kooperativen Prozess, bei dem gemeinsam nach einer Lösung gesucht wird, die für alle zufriedenstellend ist, anstatt starre Positionen zu verteidigen.


Toleranz in der Kommunikation:

  1. Beobachtung: "Einige von uns bevorzugen den Strandurlaub, andere die Berge. Wir hatten letztes Jahr Streit wegen der Ferienplanung. Seither habe ich einen GFK-Kurs besucht."

  2. Gefühl: "Ich bin gerade besorgt und auch neugierig"

  3. Bedürfnis: "Ich möchte, dass alle hinter der Ferien-Wahl stehen können. Allen wichtig sind die Bedürfnisse nach Erholung und gemeinsamer Zeit, richtig?"

  4. Bitte: "Wollen wir gemeinsam nach Destinationen und auch Ideen suchen, wie wir uns zur Zufriedenheit aller organisieren könnten? Auch ganz neue Ideen sind willkommen"

Nun werden Strategien gesucht, die eins oder mehrere der Bedürfnisse erfüllen. Dabei ist allen bewusst, dass es immer mehrere, meistens sehr viele, Strategien gibt, um ein Bedürfnis zu erfüllen. Entsprechend entstehen Konflikte immer auf der Strategie-Ebene und nie auf der Bedürfnis-Ebene.


Mögliche Lösungen:

  1. Konsenslösung: Das Familienmitglied, das den Strand bevorzugt, könnte vorschlagen, den Urlaubsort so zu wählen, dass er in der Nähe von Bergen mit Ausflugsmöglichkeiten liegt. Auf diese Weise können sowohl Strand- als auch Bergliebhaber auf ihre Kosten kommen.

  2. Zeitlich versetzte Lösung: Die Familie könnte sich darauf einigen, abwechselnd Strand- und Bergurlaube zu planen, um die verschiedenen Vorlieben zu berücksichtigen.

  3. Fokusänderungs-Lösung: Statt den Fokus auf den Ort zu legen, könnten die Familienmitglieder darüber sprechen, welche Aktivitäten sie am Urlaubsort geniessen möchten. Das könnte dazu führen, dass sie gemeinsame Interessen entdecken, unabhängig vom Ort.



2) Nehmen wir an: In einem Arbeitsumfeld gibt es unterschiedliche Persönlichkeiten und Arbeitsstile. In einem Teamprojekt gibt es Meinungsverschiedenheiten darüber, wie bestimmte Aufgaben angegangen werden sollen. Die Teammitglieder verteidigen ihre eigenen Ideen und Arbeitsweisen vehement und kritisieren die Vorschläge anderer. Dies führt zu Frustration und einem ineffizienten Arbeitsprozess. Es wird nach Fehlern in den Vorschlägen anderer gesucht. Es gibt Widerstand gegen Veränderungen und eine "Ich gegen dich"-Mentalität.


Toleranz in der Haltung:

  • Die Teammitglieder zeigen Empathie und versuchen, die Perspektiven und Bedürfnisse ihrer Kolleginnen und Kollegen zu verstehen, bevor sie ihre eigenen Ideen vorbringen.

  • Es wird eine Atmosphäre der Zusammenarbeit geschaffen, in der Ideen ausgetauscht werden, ohne Angst vor Kritik.

  • Das Team strebt gemeinsam nach Lösungen, die die Stärken und Fähigkeiten jedes Teammitglieds nutzen, anstatt auf Hierarchie oder Konkurrenz zu setzen.


Toleranz in der Kommunikation:

Jede Person hat die Gelegenheit, sich frei darüber zu äussern, wie es ihr mit der Situation geht. Die moderierende Person fasst mit Fokus auf die 4 Schritte der GFK zusammen.

  1. Beobachtung: "Wir haben unterschiedliche Ansichten darüber, wie wir dieses Projekt angehen sollen."

  2. Gefühl: "Einige von uns fühlen sich besorgt und gestresst, weil sie befürchten, dass ihre Ideen übersehen werden, während andere sich frustriert fühlen, wenn wir nicht vorankommen."

  3. Bedürfnis: "Wir alle haben das Bedürfnis nach Effizienz und dass unsere unterschiedlichen Fähigkeiten und Perspektiven geschätzt werden."

  4. Bitte: "Gibt es kreative Lösungen, die die Stärken und Bedürfnisse jedes Teammitglieds nutzen?"

Mögliche Lösungen:

  1. Projektaufteilung: Je nach den Stärken und Präferenzen der Teammitglieder könnten bestimmte Aufgaben und Verantwortlichkeiten verteilt werden. Einzelne Teammitglieder könnten in den Bereichen arbeiten, in denen sie am besten sind.

  2. Regelmässige Reflexion: Das Team könnte sich in regelmässigen Abständen treffen, um den Projektfortschritt und die Zusammenarbeit zu besprechen. Dies bietet die Möglichkeit, etwaige Herausforderungen anzusprechen und gemeinsam Lösungen zu finden.

  3. Feedbackkultur: Ein offenes und konstruktives Feedbacksystem könnte implementiert werden, damit Teammitglieder ihre Bedenken und Verbesserungsvorschläge ohne Angst vor Konflikten äussern können.

Die konkreten Lösungen hängen von den spezifischen Bedürfnissen und Situationen sowie vom Kontext ab, aber in beiden Fällen betonen sie die Wichtigkeit der Zusammenarbeit, des Konsenses (nicht unbedingt des Kompromisses) und der Schaffung eines respektvollen und offenen Kommunikationsklimas.


Grenzenlose Toleranz?



Bis zu welchem Punkt sollten wir Toleranz üben? Gibt es Situationen, in denen Toleranz nicht angemessen ist? Marshall Rosenberg schreibt in seinem Buch "Gewaltfreie Kommunikation": "Doch in manchen Fällen ist ein solcher Dialog nicht möglich. Dann kann sich die Ausübung von Macht als notwendig erweisen, um Leben zu schützen oder auch für die Rechte einzelner einzutreten." Toleranz hat ihre Grenzen, wenn sie dazu führt, dass Menschenrechte oder die Würde anderer verletzt werden.


Wie können wir Toleranz und Respekt gegenüber anderen aufrechterhalten, ohne unsere eigenen Werte und Überzeugungen zu verleugnen? Eine Möglichkeit besteht darin, offen über unsere Werte zu sprechen und gleichzeitig zu versuchen, die Perspektiven anderer zu verstehen. Die GFK gibt der Verbindung auf einer menschlichen Ebene den Vorrang über jener auf der inhaltlichen Ebene.


Welche Rolle spielt Toleranz in einer vielfältigen Gesellschaft? Wie können wir unterschiedliche Kulturen und Lebensweisen respektieren, ohne kulturelle Normen zu ignorieren? Hierbei hilft es, kulturelle Sensibilität zu entwickeln und eine Balance zwischen Toleranz und der Anerkennung kultureller Unterschiede zu finden. In der Haltung der GFK können unsere Unterschiede feiern, solange sie nicht dazu verwendet werden, andere herabzusetzen oder zu verletzen.


Welche Herausforderungen und Konflikte können auftreten, wenn wir Toleranz in verschiedenen Bereichen, wie zum Beispiel Religion oder Politik, anstreben? In diesen Bereichen kann es besonders herausfordernd sein, Toleranz zu üben. Dennoch betonte Rosenberg die Bedeutung des Dialogs. Denn durch den offenen Austausch ist es möglich, die eigenen Werte und jene der anderen zu klären und nachzuvollziehen. Das ist der Weg zum Frieden.


Toleranz ist ein vielschichtiges Thema, das viele Aspekte unseres täglichen Lebens berührt. Indem wir diese Fragen reflektieren und uns bemühen, die Prinzipien der Gewaltfreien Kommunikation in unsere Beziehungen und Interaktionen zu integrieren, können wir einen Beitrag zur Förderung einer respektvollen und harmonischen Gesellschaft leisten.


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