Alles, was lebt, hat Bedürfnisse. Meine Tomatenpflanze richtet sich zur Sonne aus, weil sie wachsen will. Ein Raubvogel jagt, um sich zu ernähren. Und vielleicht stehst du morgens auf und fährst mit dem Fahrrad zur Arbeit, weil dir Sicherheit, Wirksamkeit oder Nachhaltigkeit wichtig sind. Oder du fährst mit dem Auto weil dir Effizienz, Wirksamkeit oder Ruhe wichtig sind.
Bedürfnisse als Motivationsquelle
Bedürfnisse werden nicht willentlich gesteuert. Sie sind da – und wenn sie unerfüllt bleiben, melden sie sich. Sie sind mächtige Treiber für unser Handeln. Das Erkennen und Ausdrücken von nicht erfüllten Bedürfnissen ist eine Voraussetzung dafür, dass sie erfüllt werden können.
Die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) lenkt den Fokus nicht auf „richtig“ oder „falsch“, sondern fragt stets:
Welches Bedürfnis erfüllt oder fehlt gerade bei mir?
Welches Bedürfnis könnte mein Gegenüber gerade bewegen?
Bedürfnis oder Strategie?
Marshall Rosenberg, der Begründer der GFK, unterscheidet zwischen Bedürfnissen und Strategien:
Ein Bedürfnis ist universell und für alle Menschen gültig (z.B. Erholung, Wertschätzung, Sicherheit).
Eine Strategie ist der konkrete Weg, ein Bedürfnis zu erfüllen.
Ein Beispiel:
Mein Bedürfnis: Erholung.
Meine Lieblings-Strategie: Jetzt eine halbe Stunde im Wohnzimmer schlafen
Dein Bedürfnis: Bewegung.
Deine Lieblings-Strategie: Jetzt im Wohnzimmer zu Musik tanzen
Ein Konflikt entsteht nie auf der Ebene der Bedürfnisse, sondern bei den Strategien. Wenn wir das erkennen, können wir gemeinsam nach alternativen Strategien suchen, die für beide passen – zum Beispiel ein schweigender Spaziergang. Oder: Ich schlafe zuerst eine halbe Stunde, du tanzt danach zur Musik.
💡 Tipp: Frage dich in Konflikten: „Welches Bedürfnis steckt hinter meinem Verhalten? Welches hinter dem des anderen?“
Bedürfnisse erfüllen – die gute Nachricht
Ein Bedürfnis kann auf viele verschiedene Arten erfüllt werden. Wenn ich offen bleibe und anerkenne, dass meine bevorzugte Strategie nicht die einzig mögliche ist, öffnet sich der Raum für kreative Lösungen.
In meiner Arbeit erlebe ich oft, wie Menschen durch das Erkennen ihrer Bedürfnisse zu echten Aha-Momenten kommen und mit Freude Lösungen entwickeln.
Ein neuer Wortschatz für Bedürfnisse
Vielleicht findest du das Wort „Bedürfnis“ zu „bedürftig“. Alternativen wie „was mir wichtig ist“ oder „worum es mir geht“ können genauso hilfreich sein. Wichtig ist, die Sprache der universellen Bedürfnisse zu finden – denn sie schafft Verbindung.
Hier ein kleiner Bedürfnis-Wortschatz zur Orientierung:
Grundbedürfnisse: Nahrung, Atmen, Bewegung, Ruhe, Sicherheit.
Soziale Bedürfnisse: Wertschätzung, gesehen werden, Fairness, Unterstützung, Verbindung.
Persönliches Wachstum: Klarheit, Entwicklung, Kreativität, Sinn, Leichtigkeit.
Weitere Bedürfnis-Listen findest du bei den Ressourcen.
💡 Tipp: Wenn ein Gespräch schwierig wird, versuche, die Bedürfnisse zu benennen statt Forderungen zu stellen.
Zum Üben: Bedürfnisse im Alltag erkennen
Wie kannst du das konkret anwenden? Ich schlage dir zwei Wege vor:
Deine eigenen Bedürfnisse erkunden: Achte in den nächsten Tagen darauf, welche Bedürfnisse bei dir gerade erfüllt oder unerfüllt sind. Brauche ich Ruhe? Zeit für mich? Verbindung? Auch die Bedürfnisgläser-Übung kann hilfreich sein.
Die Bedürfnisse anderer wahrnehmen: Beobachte, was jemand gerade sagt oder tut, und frage dich: „Welches Bedürfnis erfüllt sich die Person damit?“
Im Pausengespräch im Büro.
Beim Diskutieren mit Kindern oder in der Paarbeziehung.
Im Meeting mit Kund:innen oder Vorgesetzten.
Der Schlüssel zur Verbindung
Wenn du die Bedürfnisse hinter deinem Verhalten und dem anderer Menschen erkennst, eröffnest du einen neuen Weg: Konflikte werden lösbarer, Gespräche klarer, und die Verbindung wächst.
Probier es aus. Jedes Wort zählt!
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