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Jenseits der Mehrheit: Systemisches Konsensieren als demokratische Alternative

Aktualisiert: 7. Jan.

In herkömmlichen demokratischen Systemen werden Entscheidungen häufig durch Mehrheitsentscheidungen getroffen. Das bedeutet, die Meinung der Mehrheit entscheidet, während die Anliegen der Minderheit oft unberücksichtigt bleiben. In solchen Systemen können bis zu 49 % der Gruppenmitglieder mit einer Entscheidung unzufrieden sein – ein hoher Preis, insbesondere in Gruppen oder Organisationen, die auf Zusammenarbeit angewiesen sind.


Das Prinzip des Systemischen Konsensierens (SK) bietet eine Alternative. Es verfolgt das Ziel, einen Konsens zu finden, bei dem die Bedenken und Einwände aller Beteiligten berücksichtigt werden, um eine Lösung zu entwickeln, die für die gesamte Gruppe akzeptabel ist. Statt nach der Mehrheit zu fragen, wird der Vorschlag mit dem geringsten Widerstand gewählt.


8 Personen stehen im Kreis und legen in der Mitte je eine Hand aufeinander

Was ist Systemisches Konsensieren?


Systemisches Konsensieren ist eine Methode, um Entscheidungsprozesse demokratischer, kooperativer und konfliktärmer zu gestalten.

Es wird häufig in Organisationen, sozialen Bewegungen und Gruppen angewendet, die nach alternativen Entscheidungsmethoden suchen. Dabei wird nicht die Zustimmung gemessen, sondern der Widerstand, den verschiedene Vorschläge bei den Beteiligten auslösen.


💡 Kurz gefasst:Der Vorschlag, der von allen Gruppenmitgliedern am wenigsten abgelehnt wird, ist derjenige, der umgesetzt wird.



Die Ursprünge des SK


Das Konzept des Systemischen Konsensierens wurde in den 1980er-Jahren von Erich Visotschnig, einem Systemanalytiker und Projektmanager bei IBM, entwickelt. Ab 2001 verfeinerte er die Methode zusammen mit Siegfried Schrotta weiter.


💡 Wichtig: Die Voraussetzung für die Methode ist, dass alle Beteiligten das Vorgehen akzeptieren und einander mit Wohlwollen begegnen.



Der Prozess: So funktioniert Systemisches Konsensieren


  1. Vorschläge sammeln:In einem ersten Schritt werden alle Lösungsvorschläge gesammelt. Dabei ist es wichtig, dass jeder Vorschlag klar formuliert und für alle nachvollziehbar ist.


  2. Bewertung des Widerstands:Jede Person bewertet jeden Vorschlag anhand eines Widerstandswerts. Dafür wird in der Regel eine Skala von 0 bis 10 verwendet:

    • 0 = kein Widerstand

    • 10 = maximaler Widerstand


  3. Summieren der Widerstandswerte:Alle Widerstandswerte für jeden Vorschlag werden addiert. Der Vorschlag mit der niedrigsten Summe ist derjenige, der den geringsten Widerstand innerhalb der Gruppe erzeugt.


  4. Optimieren des Vorschlags (optional):Um den Vorschlag mit dem geringsten Widerstand weiter zu verbessern, kann die Gruppe gemeinsam überlegen, wie die bestehenden Widerstandspunkte noch weiter reduziert werden können.




Mein persönlicher Ansatz: Zwei Ergänzungen


Wenn ich Systemisches Konsensieren anwende, ergänze ich den Prozess oft um zwei Punkte:


  1. Die Passivlösung einbeziehen: Dabei frage ich die Gruppe: „Was passiert, wenn wir gar nichts ändern und beim Status quo bleiben?“ Diese Option kann in manchen Situationen hilfreich sein, um die Dringlichkeit einer Entscheidung zu bewerten.


  2. Widerstand minimieren: Sobald der Vorschlag mit dem geringsten Widerstand feststeht, arbeite ich gemeinsam mit der Gruppe daran, die bestehenden Widerstände weiter zu verringern. Oft führt dies zu einer noch tragfähigeren Lösung.



Zwei Beispiele aus der Praxis


Mit Kindern: Wo soll der Ausflug hingehen?


In einer Kitagruppe stehen drei Ausflugsziele zur Auswahl:

  • Wasserspielplatz

  • Wald

  • Garten


Die Kinder geben an, wie stark sie die jeweiligen Vorschläge ablehnen. Dies kann mit Fingern, Bausteinen oder einer kreativen Methode geschehen, z. B. „Wie viele Stacheln hättest du, wenn du ein Igel wärst?“.


Der Vorschlag mit den wenigsten Stacheln (geringstem Widerstand) wird ausgewählt.


💡 Tipp: Diese Methode eignet sich nicht nur für Erwachsene, sondern auch hervorragend für Kindergruppen, da sie spielerisch und intuitiv ist.



Beruflicher Kontext | Teamentscheidung: Welches Tool soll eingeführt werden?


Ein Team soll entscheiden, welches neue Software-Tool eingeführt werden soll, um die Zusammenarbeit zu erleichtern. Es gibt vier Vorschläge, und jede Person hat unterschiedliche Präferenzen und Bedenken.


Der Ablauf:

  1. Vorschläge sammeln:

    • Tool A: Sehr umfassend, aber teuer.

    • Tool B: Kostengünstig, aber komplex zu bedienen.

    • Tool C: Einfach, aber mit eingeschränkten Funktionen.

    • Tool D: In der Mitte zwischen Kosten und Benutzerfreundlichkeit.

    • Optional: Passivlösung = Kein neues Tool)


  2. Widerstand messen:Die Teammitglieder bewerten jeden Vorschlag auf einer Skala von 0 bis 10, wobei 10 maximalen Widerstand bedeutet.


    Tabellarische Darstellung der Personen, Optionen und Widerstandspunkte

    Die Summen der Widerstandswerte werden berechnet:

    • Tool A: 26

    • Tool B: 23

    • Tool C: 20

    • Tool D: 12

    • Entscheidung:Tool D hat den geringsten Widerstand. Es wird ausgewählt.

    • Optimieren:Das Team bespricht die Hauptbedenken (z. B. fehlende Funktionen bei Tool D) und sucht nach Möglichkeiten, diese zu minimieren, z. B. durch zusätzliche Schulungen oder parallele Nutzung eines ergänzenden Tools.


    💡 Vorteil: Durch die Messung des Widerstands wird deutlich, dass Tool D für alle die tragfähigste Lösung ist, selbst wenn es nicht die persönliche Lieblingswahl ist.



Zusammenhang zwischen Systemischem Konsensieren (SK) und Gewaltfreier Kommunikation (GFK)


Systemisches Konsensieren und GFK teilen zentrale Prinzipien:


  1. Fokus auf Bedürfnisse: Wie in der GFK geht es beim SK darum, die Bedürfnisse aller Beteiligten zu berücksichtigen. Widerstand wird oft durch unerfüllte Bedürfnisse ausgelöst.


  2. Wertschätzender Umgang: Beide Ansätze fördern eine Atmosphäre des Respekts, in der Meinungen, Einwände und Vorschläge gleichwertig betrachtet werden.


  3. Lösungsorientierung: Sowohl GFK als auch SK zielen darauf ab, gemeinsam tragfähige Strategien zu entwickeln, die für möglichst viele akzeptabel sind.


  4. Nachhaltigkeit durch Verbindung: In der GFK geht es um Verbindung, auch bei Konflikten. Beim SK erleichtert das gemeinsame Bewerten und Besprechen von Widerständen Beteiligung und Verständnis innerhalb der Gruppe. Getroffene Entscheidungen haben grössere Chancen, nachhaltig zu sein.


Beispiele für Online-Konsensierungs-Tools


Vertiefung

Eine umfassendere Beschreibung der Methode gibt es auf partizipation.at.


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