„Wir werden diesen Konflikt nie lösen. Unsere Bedürfnisse sind zu unterschiedlich!“
Solche Aussagen höre ich oft in meiner Arbeit bei paarseminare.ch. Und genau hier wird es spannend. Denn in der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) gibt es eine Erkenntnis, die Konflikte oft auflösen kann: Bedürfnisse stehen niemals in Konflikt. Es sind die Strategien, mit denen wir sie erfüllen wollen, die zu Konflikten führen.
Der Klassiker: Der Geschirrspüler
Ein Beispiel aus unserer Arbeit bei paarseminare.ch:
Der Mann hat ein starkes Bedürfnis nach Ordnung und Harmonie. Seine Strategie: Der Geschirrspüler muss perfekt eingeräumt werden – grosse Teller hinten, kleine Teller vorne, alles ordentlich. Wenn seine Frau das „anders“ macht, wird er unruhig, weil dadurch weniger Geschirr hineinpasst und der Spüler häufiger läuft. Sein Bedürfnis nach Nachhaltigkeit und Klarheit bleibt unerfüllt.
Die Frau hingegen trägt seit Jahren die Hauptlast des Haushaltsmanagements. Es geht ihr auf die Nerven, wenn er sie korrigiert oder den Spüler sogar neu einräumt. Ihr Bedürfnis nach Wertschätzung, Autonomie und Ernstgenommenwerden bleibt auf der Strecke.
Lösungsarbeit mit der Gewaltfreien Kommunikation
Hier sind die fünf Schritte, die wir mit Paaren erarbeiten können:
Bedürfnisse und Strategien trennen
Beide lernen zu unterscheiden:
Bedürfnisse: Was ist mir wichtig? --> Abstrakter Begriff; nicht von einer Person, Zeit, Ort, Handlung abhängig (z.B. Effizienz, Wertschätzung, Sauberkeit, Nachhaltigkeit, Harmonie ...)
Strategien: Wie versuche ich, mein Bedürfnis zu erfüllen? -> Konkreter Begriff; von einer Person, Zeit, Ort, Handlung abhängig (z.B. "dass du die Spülmaschine so einräumst, dass die grossen Teller hinten und die kleinen vorne sind", ""wenn ich die Spülmaschine einräume, schweigst du, machst keine Kommentare und lässt die Sachen so drin, wie ich sie eingeräumt habe"..)
💡 Tipp: Frage dich: „Was brauche ich gerade – und was versucht die andere Person zu erreichen?“
Gegenseitiges Hören ohne „aber“
Beide wiederholen die Bedürfnisse des anderen – ganz ohne eigene Geschichte oder Rechtfertigung. Nur das reine Bedürfnis. Hier entsteht oft das erste Verstehen:
„Dir geht es um Ordnung und Nachhaltigkeit.“
„Dir geht es darum, Wertschätzung zu erfahren und autonom handeln zu können.“
💡 Hilfreich: Das Bedürfnis des Gegenübers zu verstehen und zu wiederholen, heisst nicht, dass ich mit der Strategie einverstanden sein muss!
Neue Strategien gemeinsam brainstormen
Bedürfnisse sind nicht verhandelbar (Mein Bedürfnis nach Wertschätzung ist genau so ok, wie deins nach Nachhaltigkeit), doch Strategien sind verhandelbar. Die Frage lautet:
„Wie können die Bedürfnisse beider Seiten erfüllt werden?“
„Wie könnten wir den Geschirrspüler-Prozess neu aufgleisen?“
Zum Beispiel:
Rollentausch: Einmal räumt die eine Person ein, das nächste Mal die andere – ohne Kommentare.
Zonen-Strategie: Die Partner:innen teilen sich Bereiche des Geschirrspülers auf (z.B. du die Teller, ich die Tassen).
Spielerisch ans Ziel: Wer schafft es, beim Einräumen das meiste Geschirr unterzubringen, ohne Chaos zu verursachen?
„Test-Tag“: Beide probieren die jeweils andere Strategie aus und bewerten am Ende gemeinsam, was am besten funktioniert.
Alternativen finden: Eine Diskussion darüber, ob der Geschirrspüler wirklich notwendig ist oder ob z.B. gemeinsames Abwaschen Verbindung schafft.
💡 Tipp: Denke kreativ! Oft sind es unerwartete Lösungen, die alle glücklich machen. Und: Humor hilft! Manchmal reicht es schon, das Thema spielerisch zu betrachten, um den Druck rauszunehmen.
Neue Strategien im Alltag ausprobieren
Beide einigen sich auf eine Strategie und probieren sie für einen bestimmten (definierten) Zeitraum aus.
Reflektieren und anpassen
Nach dem definierten Zeitraum kommen beide wieder zusammen: Was hat funktioniert? Was braucht noch Anpassung?
Ein Perspektivwechsel mit grosser Wirkung
Was sich oberflächlich wie „ein Streit um den Geschirrspüler“ anhört, geht in Wahrheit oft sehr tief. Wenn wir uns trauen, unsere Bedürfnisse auszusprechen und die des anderen zu hören, entsteht Raum für Verbindung.
Die Erkenntnis: Es gibt immer mehr als einen Weg, ein Bedürfnis zu erfüllen.
💡 Tipp: Bei Konflikten frage dich: „Wie kann ich meine Bedürfnisse klar ausdrücken, ohne auf meiner Lieblings-Strategie zu beharren?“
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