"Wie bekomme ich sie dazu, mich zu mögen?"
"Was kann ich tun, um gemocht zu werden?"
"Was tun, wenn Menschen mich nicht mögen?"
"Warum will ich, dass mich alle mögen?"
Solche und ähnliche Anfragen sind in gängigen Suchmaschinen und Coachings weit verbreitet.
Tatsächlich ist "sie müssen mich mögen" einer der häufigsten stressigen Glaubenssätze überhaupt.
Weshalb treibt uns die Frage um, hat sie einen Sinn und was ist zu viel des Guten?
Zugehörigkeit - Sinn, Zweck und Schattenseiten
Der Glaubenssatz „Sie müssen mich mögen“ basiert auf einem tief verwurzelten Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Akzeptanz. Dieses ist grundlegend und überlebenswichtig, da es in unserer menschlichen Natur liegt, Teil einer Gemeinschaft sein zu wollen. Zugehörigkeit war in früheren Zeiten entscheidend für das Überleben, da Menschen in Gruppen besser vor Gefahren geschützt waren und Ressourcen teilen konnten. Auch heute gilt noch immer: Der Mensch ist ein soziales Wesen, das nach Akzeptanz strebt. Wer sich als zugehörig erlebt, sieht sich als (gleich)wertig, begegnet anderen auf Augenhöhe und trägt aktiv und gerne zum Wohle der Gemeinschaft bei. Im Gegensatz dazu hat jemand, die oder der sich nicht als zugehörig erlebt, Schwierigkeiten, ihre oder seine Lebensaufgaben zu bewältigen, zweifelt an ihrem/seinem Wert und leistet seltener konstruktive Beiträge (Theo Schoenaker, „Das Leben selbst gestalten. Mut zur Unvollkommenheit“)
Theo Schoenaker führte 1996 eine Untersuchung mit rund 1.000 Menschen unterschiedlicher Berufsgruppen durch, um deren Zugehörigkeitserleben zu erfassen. Auch seine Kolleginnen und Kollegen kamen in ähnlichen Befragungen zu vergleichbaren Ergebnissen.
Teilnehmende ohne oder mit wenig Zugehörigkeitserleben fühlten sich meist:
angespannt
traurig
aggressiv
ängstlich
dumm
mutlos
allein
Ihre Gedanken waren oft negativ und selbstkritisch, wie:
"Was habe ich denn schon wieder falsch gemacht?"
"Lasst mich in Ruhe."
"Mir ist alles egal."
"Ich ziehe mich zurück und rede kaum."
Diese Menschen konnten sich weniger gut in andere hineinversetzen und empfanden andere als distanziert, gemein, fremd und lästig.
Hingegen fühlten sich Menschen mit einem starken Zugehörigkeitserleben:
fit
aktiv
belastbar
glücklich
Ihre Gedanken waren positiver und sozialer, wie:
"Ich bin froh, da zu sein."
"Ich bin ok und werde gebraucht."
"Ich bin hilfsbereit."
"Ich kann mich gut konzentrieren."
"Ich interessiere mich für andere."
"Ich habe Humor."
Diese Menschen empfanden andere als liebenswert, sympathisch und zuvorkommend.
Zugehörigkeitsbestreben kann auch in destruktive oder gefährliche Richtungen gehen, wenn es extremistische oder terroristische Züge annimmt. Auch im Mikrokosmos der Familie oder Freundschaft kann aus Zugehörigkeitssuche eine gefährliche Kraft entstehen, etwa wenn es zur Bildung eines Feindbildes gegenüber einer anderen Familie oder Gruppe führt.
In solchen Fällen bekämpfen sich Menschen, Gruppen, Religionen, Interessensgemeinschaften oder Staaten gegenseitig, weil sie nicht in der Lage sind, "die Anderen" in ihrer Andersartigkeit zu akzeptieren. Oft passiert das, wenn das Bedürfnis nach Sicherheit nicht gewährleistet ist und die Menschen Angst haben. Ein eindrückliches Video aus Dänemark dazu gibt es hier.
Wo gehöre ich dazu und wie?
Im Wissen, wie bedeutend Zugehörigkeit ist, gewinne ich Einblicke in mein eigenes Wesen. Es ist hilfreich, zu verstehen, warum ich mich manchmal gut und manchmal schlecht fühle. Jeder Mensch durchläuft Phasen im Leben, in denen er sich stärker zugehörig fühlt und dadurch mutig und bereit ist, seine Pläne zu verwirklichen. In anderen Phasen und Momenten fühlt er sich unsicher und weiss nicht, wohin er will oder gehört. Solche Krisen sind unangenehm und gleichzeitig natürlich und notwendig, um sich zu entwickeln: Wo will ich überhaupt dazu gehören und wo nicht? Weshalb? Wie kann und möchte ich Beziehungen verbessern und Vorurteile abbauen? Gilt es, mich selbst oder andere zu akzeptieren? Was kann ich tun, um mein Zugehörigkeitserleben zu stärken? Brauche ich Unterstützung und in welcher Form?
In welchen Angelegenheiten befinde ich mich gerade?
Ein sehr hilfreicher Zugang zu mehr Klarheit und Stärke bezüglich Zugehörigkeit ist für mich das Konzept der "drei Arten von Angelegenheiten" der Autorin Byron Katie. Sie sagt, dass ein grosser Teil unseres Stresses daher kommt, dass wir uns gedanklich ausserhalb unserer eigenen Angelegenheiten befinden. Sie beschreibt dies so:
Wenn ich mich gedanklich in den Angelegenheiten anderer Menschen befinde, wie zum Beispiel „Sie müssen mich mögen“, dann entferne ich mich von meinen eigenen Angelegenheiten und das schafft Stress. Katie erklärt weiter: „Auch wenn ich beispielsweise denke: ‚Du brauchst eine Arbeit; ich will, dass du glücklich bist; du solltest pünktlich sein; du solltest dich besser um dich kümmern‘, dann bin ich in deinen Angelegenheiten. Wenn ich mir Sorgen mache über Erdbeben, Überflutungen, Kriege oder um den Zeitpunkt meines Todes, dann bin ich in Gottes Angelegenheiten. Wenn ich gedanklich in deinen oder in Gottes Angelegenheiten bin, dann bewirkt das Trennung.“
Wenn ich also glaube, dass andere mich mögen müssen, setze ich die anderen oder mich selbst unter enormen Druck. Ich versuche eventuell ständig, mich anzupassen und die Erwartungen anderer zu erfüllen, was zu einem Gefühl der Einsamkeit und Unzufriedenheit führen kann. Oder dann verurteile ich mein Gegenüber für Dinge die es (nicht) tut und mich in meinen Augen dadurch nicht akzeptiert. Katie beschreibt dieses Phänomen so: „Wenn ich mich beispielsweise gedanklich in die Angelegenheiten meiner Mutter begeben habe, mit einem Gedanken wie: ‚Meine Mutter sollte mich verstehen‘, dann habe ich sofort ein Gefühl der Einsamkeit erlebt. Und ich erkannte, dass ich mich jedes Mal in meinem Leben, wenn ich mich verletzt oder einsam fühlte, in den Angelegenheiten eines anderen befand.“
„Sie muessen mich mögen“ kann also ein hilfreicher Impuls sein, mich und mein Leben zu reflektieren. Der Gedanke kann aber auch erheblichen Stress verursachen und mich davon abhalten, mein eigenes Leben zu leben.
Als lebensbereichernder Weg für mich und mein Umfeld könnte sein:
Erkennen, ob der Grund für meinen Stress das unerfüllte Bedürfnis nach Zugehörigkeit ist
Anerkennen, dass dieses Bedürfnis sinnvol und berechtigt ist
Reflektieren, wo und wie ich zugehörig sein möchte, welche Werte mir wichtig sind und ob ich sie durch diese von mir gewünschte Zugehörigkeit leben kann oder leugnen muss.
Die Angelegenheiten rund um das Thema sortieren: Welche kommen in meine Box, welche in die von jemand anderem, welche in die Gottes-/Universums-Box?
Strategien und Wege finden, mich um meine Box zu kümmern und die anderen Boxen loszulassen. Für mich ist es ein Zeichen von Wertschätzung und Respekt mir und meinem Umfeld gegenüber, wenn ich das tue. Das heisst übrigens nicht, nur noch an mich und meine Interessen zu denken. Es heisst viel mehr, klar darüber zu sein, wo ich Verantwortung übernehme und wo ich übergriffig bin, wenn ich mich einmische. Dann kann ich weiterhin Anteil nehmen, unterstützen oder meine Meinung sagen, doch ich werde es mit einer anderen Energie und Haltung tun, die - in meinem Erleben - auf mehr Offenheit stösst.
Interessanterweise haben sich Dynmaiken und Beziehungen in ganz unerwartete Richtungen entwickelt (oder auch aufgelöst), als ich angefangen habe, mich mehr um meine und weniger um andere Angelegenheiten zu kümmern.
Befindest du dich aktuell bezüglich eines Themas in den Angelegenheiten anderer oder Gottes/des Universums?
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