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NBJ Coaching und Seminare

GFK in Zeiten des Krieges

Aktualisiert: 19. Dez. 2024

Eine Provokation!


Gudrun Haas, GFK-Trainerin aus München, beschreibt ihren ersten Eindruck von Marshall Rosenberg (Quelle), als er vor rund 30 Jahren im deutschsprachigen Raum zu sprechen begann:

Ich sass in seinem Seminar und dachte: ‚Dieser Mensch mit diesen Ideen läuft frei rum?‘ Da sitzt einer und sagt glatt, dass selbst Kriminelle gute Gründe haben, wie sie sich verhalten und das war für mich komplett neu. Das hat mich so weggebeamt, weil bis dahin hatte ich überhaupt gar kein Bedürfnisbewusstsein. Bis dahin hatte mich noch nie jemand gefragt, welche Bedürfnisse ich habe, geschweige denn ich mich selber. Was mir damals geholfen hat, war mich wieder zu verbinden mit meinen alten Werten, mit den Werten, dass es doch möglich sein muss, in Frieden zu leben und das hatte ich vergessen gehabt.

Das stimmt doch nicht. Oder doch?


Eine der Grundannahmen der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) lautet: Alles, was ein Mensch tut oder nicht tut, dient der Erfüllung eines Bedürfnisses.

Das klingt im ersten Moment provozierend. Denn wenn das stimmt, würde das ja bedeuten, dass selbst Kriege, Gewalt und Zerstörung schreckliche Strategien sind, um uns „unschuldige“ Bedürfnisse zu erfüllen. Kann das wirklich sein?



Bedürfnisse und Strategien: Eine Unterscheidung


Marshall Rosenberg erklärt:

  • Bedürfnisse sind universell, abstrakt und nicht verhandelbar: Sicherheit, Gemeinschaft, Anerkennung, Autonomie, Schutz …

  • Strategien sind die konkreten Wege, mit denen wir versuchen, unsere Bedürfnisse zu erfüllen: Handlungen, Orte, Personen, Zeitpunkte.


Während Bedürfnisse „unschuldig“ sind, können Strategien lebensdienlich oder lebenszerstörend sein. Konflikte – egal ob im Kleinen oder im Grossen – entstehen immer auf der Strategieebene, niemals auf der Bedürfnissebene.


Ein Beispiel aus der GFK-Praxis


In GFK-Seminaren wird manchmal die folgende Übung durchgeführt:

Zwei Gruppen sollen sich vorstellen, dass eine die andere angegriffen hat – Häuser wurden zerstört, Zivilist:innen verletzt oder getötet. Daraufhin übt die zweite Gruppe Rache. Beide Seiten sind nun in tiefem Schmerz und Wut.

Dann die Frage: „Was für Bedürfnisse stecken hinter euren Handlungen?“

Meistens herrscht erst einmal Schweigen. Doch dann werden sie genannt:

  • Schutz und Sicherheit: „Wenn die anderen nicht mehr existieren, sind wir sicher.“

  • Gerechtigkeit: „Sie haben uns verletzt, jetzt sollen sie auch leiden.“

  • Wohlergehen und Zukunft: „Wir brauchen Land für unsere Familien, um Landwirtschaft zu betreiben.“

  • Anerkennung und Autonomie: „Wir wollen nach unseren Regeln leben, nicht nach fremden.“

  • Verständnis und Empathie: „Wir haben so viel Schmerz erfahren – die anderen sollen ihn auch spüren, um uns zu verstehen.“


Es folgt wieder Schweigen. Es ist beklemmend, zu sehen, wie universell und nachvollziehbar die Bedürfnisse sind, die hinter so destruktiven Strategien stehen.



Was können wir tun?

Marshall Rosenberg sagte dazu:

„Frieden beginnt in uns selbst. Damit meine ich nicht, dass wir uns zuerst von all unseren inneren gewaltvollen Erfahrungen befreien müssen, bevor wir nach aussen schauen. Was ich meine, ist: Wir müssen beides gleichzeitig tun.“

Rosenberg arbeitete selbst in Kriegs- und Krisengebieten wie Palästina, Serbien und Ruanda. Er begegnete Menschen, die seit Jahrzehnten in Gewalt und Leid lebten. Sein Ansatz:

  • Den Schmerz hören: Die Gefühle und Bedürfnisse hinter dem Verhalten erkennen.

  • Dialog schaffen: Statt Schuldige zu suchen, die Verbindung aufbauen.

  • Nach lebensdienlichen Strategien suchen: Wege finden, die Bedürfnisse aller Seiten berücksichtigen.


Hier erzählt er persönlich, was seine Herangehensweise war:



Der Kern der Gewaltfreien Kommunikation


Die GFK ist mehr als eine Methode – sie ist eine Haltung:

  • Das Bewusstsein, dass wir alle miteinander verbunden sind.

  • Der Wunsch, Getrenntheit zu überwinden und Verantwortung zu übernehmen.

Marshall Rosenberg sagte einmal:

Worte können Mauern oder Brücken sein.“

Grenzen der GFK - und Privilegien


Die GFK erfordert Zeit, Mut und Bereitschaft – und genau diese Ressourcen fehlen oft in Krisensituationen. Traumata, Ängste und Ungleichgewichte machen es schwer, offen über Gefühle und Bedürfnisse zu sprechen.

Auch Rosenberg selbst war privilegiert: als weisser, gebildeter Cis-Mann konnte er sich Gehör verschaffen, während vielen Menschen in ähnlichen Situationen diese Möglichkeit verwehrt bleibt. Hier zeigt sich: Frieden zu schaffen erfordert nicht nur Empathie, sondern auch soziale Veränderung.



Und jetzt? Was kann ich konkret tun?


Angesichts der vielen kriegerischen, ausbeuterischen und trennenden Strategien auf dieser Welt könnte es leicht sein, die Hoffnung zu verlieren. Ein weiteres Zitat von Rosenberg hilft mir dabei, mit kleinen Schritten vorwärts zu gehen:

„Alle Dinge, die es wert sind, getan zu werden, sind es auch wert, unvollkommen getan zu werden.“

Was bedeutet das für mich?

  1. Erkenne die Bedürfnisse – bei mir und anderen. Auch bei denen, die auf den ersten Blick „die Bösen“ sind.

  2. Frage: Gibt es lebensdienlichere Strategien? Wege, die die Bedürfnisse aller berücksichtigen?

  3. Bleib im Dialog. Reden wir darüber. Hören wir einander zu. Handeln wir bedürfnisorientiert.


Denn: Gewalt hat noch nie dauerhaften Frieden und echte Versöhnung gebracht.



Fazit: Ein Schritt in Richtung Frieden


Die GFK gibt uns eine Sprache und eine Haltung, um selbst in den schwierigsten Situationen nach Verbindung und Frieden zu suchen. Es ist ein Prozess – unvollkommen und gleichzeitig wertvoll.


Hast du Fragen zu diesem Thema oder Gedanken, die du teilen möchtest? Ich freue mich auf den Austausch!


Mehr Infos zur GFK gibt es im von Marshall Rosenberg gegründeten Center for Nonviolent Communication.



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